Die „Arisierung“ von Karstadt [Hermannplatz 5-10]

Das pompöse Gebäude des durch Philipp Schaefer entworfenem Karstadts am Hermannplatz wurde am 25. April 1945 durch SS-Truppen gesprengt. Damit sollte verhindert werden, dass der Inhalt des Gebäudes in die Hände der Roten Armee kam. Mit dieser Sprengung sind auch etliche Menschen ermordet worden, die sich im Karstadt auf der Suche nach Nahrung aufgehalten hatten. Das heutige Gebäude des Karstadts wurde 1952 gebaut. Seit etwa 2 Jahren arbeiten die beiden Warenhäuser Karstadt und Kaufhof eng zusammen und treten mit dem Namen „Galeria Karstadt Kauhof“ sogar mit gemeinsamen Namen auf.

Warenhäuser entwickelten sich insbesondere in der 2. Hälfte des 19. Jahrhundert bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts. Leonhard Tietz war Gründer eines kleinen Lädchens – der Leonhard Tietz AG –, der schnell expandierte und bereits in den 20er Jahren auf über 40 Filialen angewachsen war. 1933 wurde die Aktiengesellschaft in „Westdeutsche Kaufhof AG, vorm. Leonhard Tietz“ geändert. Um den jüdischen Inhaber zu verbergen, strichen die Nazis den Namen Leonhard Tietz 1936. Bereits ab März mit dem Höhepunkt am 1. April 1933 waren die Filialen des Unternehmens von dem durch die NSDAP organisierten Boykott als jüdisch gebrandmarkten Geschäfte betroffen. Durch den steigenden politischen und wirtschaftlichen Druck sah sich Alfred Leonhard Tietz, der Sohn des Gründers und Unternehmensvorstand, zum Rücktritt gezwungen. Zudem musste er seine Aktienanteile zu einem Spottpreis an die Dresdner Bank verkaufen. In den folgenden Jahren der sogenannten „Arisierung“ wurde die Familie Tietz ihres gesamten Vermögens beraubt und musste emigrieren. Das Unternehmen Karstadt war dagegen eines der wenigen Warenhäuser in Deutschland, die nicht ursprünglich von Menschen jüdischer Zugehörigkeit gegründet und daher nicht Opfer der „Arisierung“ wurde, wie es etwa auch bei den Kaufhäusern Wertheim, Hertie oder dem KaDeWe der Fall war. Die „Arisierung“ in dem Unternehmen Karstadt gestaltete sich anders: Bereits 1933 entließ man alle Menschen, die die Nazis als jüdisch identifizierten. Im Gegenzug erhielt das durch die Wirtschaftskrise angeschlagene Unternehmen Kredite, und schon 1938 erhielt es den zweifelhaften Titel „Vorstufe zum nationalsozialistischen Musterbetrieb“.

An die Geschichte der Familie Tietz oder den Bestrebungen das Unternehmen Karstadt, wie es hieß, „judenrein“ zu machen, erinnert heute nichts am Hermannplatz. Die Entschädigungszahlungen an die Familie Tietz gleichen einem Witz, wenn man sich den unvergleichlichen Raub des Eigentums durch die Nazis vergegenwärtigt. Auch an diesem Beispiel verdeutlicht sich einmal mehr, dass sich Deutschland nur als Aufarbeitungsweltmeisterin inszeniert.

In diesen Tagen jährt sich die Befreiung des Bezirks Neukölln durch die Rote Armee zum 75. mal. Dies nehmen wir zum Anlass, um euch hier und in der dazugehörigen Karte (http://befreiungneukoelln.blogsport.de/…/karte-orte…/) rund um den 28. April täglich einen historischen Ort in Neukölln vorzustellen. Es sind Orte von jüdischem Leben, Verfolgung und Widerstand.
Dabei vergessen wir nicht, dass Antisemitismus, Rassismus und Neonazismus Teil des bundesdeutschen Alltags sind.

Unser Dank heißt auch weiterhin Krieg den deutschen Zuständen!