„Richardsburg“ [Richardstraße 35]

In einer großen 1971 abgerissenen Mietskaserne auf dem Gelände des heutigen Comenius-Gartens befand sich die Kneipe „Richardsburg“, die ab Januar 1931 der SA als „Sturmlokal“ diente. In der Nachbarschaft regte sich Protest. Es organisierte sich ein Mieter_innenstreik gegen den Hausverwalter und eine Hausschutzstaffel, um die Aktivitäten der SA in der Kneipe zu überwachen. Die KPD führte regelmäßig Demonstrationen vor dem Haus durch. Auch die Scheiben der Kneipe gingen zu Bruch. Am 15.Oktober 1931 sollen sich laut Anklageschrift Kommunist_innen über die Kirchgasse genähert haben. Es kommt zu einer Auseinandersetzung mit den in der Kneipe befindlichen SA-Leuten. Der Wirt der „Richardsburg“, das NSDAP-Mitglied Heinrich Böwe, wird erschossen. 33 Kommunist_innen werden verhaftet, ein erster Prozess 1932 endet ohne Verurteilung einer_s Schütz_in. Im gleichen Jahr muss die SA ihren Treffpunkt in der Richardstraße wieder aufgeben.

Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialist_innen nutzen sie diese Auseinandersetzung in der Richardstraße aus der Endphase der Weimarer Republik ab 1935 für einen zweiten, politischen Prozess, in dessen Mittelpunkt die vermeintlich zentrale Steuerung bewaffneter Aktionen durch die KPD stehen sollte. Mehreren Funktionären der Unterbezirksleitung der KPD in Neukölln war es jedoch gelungen sich vor Beginn des Prozesses nach Prag abzusetzen. Der sechs Monate dauernde Prozess vor dem Schwurgericht wurde von der nationalsozialistischen Propaganda in Form des „Völkischen Beobachters“ intensiv begleitet. Am 29.Februar 1936 wurden Bruno Blank, Helmut Schweers, Bruno Schröter, Walter Schulz und Paul Zimmermann zum Tode verurteilt. Zehn weitere Angeklagte werden zu insgesamt 110 Jahren Zuchthaus verurteilt. Vier der acht freigesprochenen Angeklagten blieben dennoch weiter inhaftiert und wurden in neue Verfahren verwickelt. Einer der Hauptangeklagten, Hermann Hagemann, wurde am 13.Februar 1936 „in seiner Zelle erhängt“ aufgefunden.

In diesen Tagen jährt sich die Befreiung des Bezirks Neukölln durch die Rote Armee zum 75. mal. Dies nehmen wir zum Anlass, um euch hier und in der dazugehörigen Karte (http://befreiungneukoelln.blogsport.de/…/karte-orte…/) rund um den 28. April täglich einen historischen Ort in Neukölln vorzustellen. Es sind Orte von jüdischem Leben, Verfolgung und Widerstand.Dabei vergessen wir nicht, dass Antisemitismus, Rassismus und Neonazismus Teil des bundesdeutschen Alltags sind.