09.10.: Zweiter Jahrestag des Anschlags auf die Synagoge in Halle (Saale)

Samstag, 09.10.2021 | 14:00 Uhr | Antifaschistische Kundgebung „Zwei Jahre nach Halle“ | Landesvertretung Sachsen-Anhalt Luisenstraße 18 (Berlin-Mitte)

Sonntag, 10.10.2021 | 14:00 Uhr | Gedenkkundgebung „Erinnern heißt handeln. Heute und alle Tage.“ | Admiralbrücke/Planufer (Berlin-Kreuzberg)

Am 9. Oktober 2019 scheiterte ein Rechtsterrorist mit einem antisemitischen Anschlagsversuch auf die Synagoge in Halle. Sein Ziel war, die zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur zusammengekommenen Mitglieder der Gemeinde und die angereisten Besucher_innen zu ermorden.
Nachdem er es nicht schaffte, in die Synagoge einzudringen, tötete er Jana L. aus misogynen Motiven. Als nächstes Ziel wählte er aus rassistischen Motiven den Kiez-Döner aus, warf Sprengsätze und ermordete vor Ort Kevin S., der dort Gast war. Auf seiner Flucht vor der Polizei fuhr der Täter ebenfalls aus rassistischem Motiv Aftax I. an und verletzte in Wiedersdorf Jens und Dagmar Z. lebensgefährlich, bevor er sich im selben Ort von Christian W., Daniel W. und Kai H. ein weiteres Fluchtauto erpresste. Der Attentäter wurde schließlich verletzt und durch die Polizei festgenommen.

Zwischen Juli und Dezember 2020 wurde der Prozess gegen den Attentäter in Magdeburg geführt. Nach 26 Verhandlungstagen wurde der Täter zu lebenslanger Haft verurteilt. Von besonderer Bedeutung ist der Prozess jedoch aufgrund der Überlebenden des Anschlags. Durch ihre vielstimmige Nebenklage haben sie den Botschaftscharakter der Tat konterkariert. Sie haben Solidarisierungsprozesse weit über den Prozessaal hinaus angestoßen, das Versagen staatlicher Behörden offen gelegt, gesellschaftliche Ursachen benannt und wesentlich zur Aufklärung des antisemitischen und rassistischen Attentats beigetragen.

„How can we overcome, when remembrance reminds us every day that what we experience and experienced will always be here. We are changed forever. As individuals. As a community. As a society. Resilience is simply something that we are, because we have to be. Because we need to be.“
(Talya Feldman, Festival Of Resilience 2021)

Für die Personen, die das Attentat überlebten, endete die persönliche Auseinandersetzung mit den Geschehnissen an diesem Tag jedoch nicht mit der Urteilsverkündung. Seit zwei Jahren müssen sie Tag für Tag mit dem Erlebten umgehen. Gefunden haben sie dabei verschiedene Formen der Resilienz: Manche der Überlebenden meiden die Öffentlichkeit und verarbeiten das Erlebte im Privaten. Andere finden sich zusammen, um sich auszutauschen, gemeinsam zu gedenken oder zu feiern. Das „Festival Of Resilience“ ist seit dem vergangenen Jahr einer der Orte dafür. Aus dem Kreise der Organisator_innen wird außerdem die weitere gesellschaftliche Aufarbeitung eingefordert, nicht zuletzt auch für all die anderen rechtsextremen Attentate, solidarisch mit den Opfern und ihren Hinterbliebenen. Die Kraftanstrengung und Stärke, die hinter allen verschiedenen Umgangsweisen steckt, wird zu oft nicht anerkannt – weder im medialen noch im politischen Kontext.
Zu oft wird von den Überlebenden erwartet sich und ihr Trauma zu präsentieren, ohne auf ihre individuellen Bedürfnisse und Wünsche einzugehen. Stattdessen hat sich das Gedenken an den Anschlag bereits stark ritualisiert, die Überlebenden werden als Symbolfiguren instrumentalisiert: sie sollen schnell kurzfristig erreichbar sein, Interviews geben oder Redebeiträge halten, ohne dass ihre eigenen Perspektiven immer den notwendigen Raum bekommen.

Das alles steht auch im Kontext einer mangelhaften Auseinandersetzung mit der Ideologie des Täters und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen der Anschlag verübt wurde und der fehlenden Solidarität mit Betroffenen von Antisemitismus.

Seit die Überlebenden den mindestens unsensiblen Umgang der Polizei mit ihnen nach dem Anschlag thematisiert haben, ist wenig passiert. Im Gegenteil, die bekanntgewordene Brieffreundschaft und Sympathie einer Polizistin mit dem Attentäter reiht sich in zahlreiche Enthüllungen über rechtsextreme Verstrickungen bei Polizei und Sicherheitsbehörden, die das ohnehin gestörte Vertrauen von potentiell Betroffenen von Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus verschwinden lässt.
Es war die Jüdische Studierenden Union Deutschland (JSUD), die die Spendenkampagne für den Umbau des Kiez-Döners organisierte. Die zugesagte finanzielle Unterstützung der Stadt steht noch aus.

Heute jährt sich der Anschlag in Halle nach weltlichem Kalender zum zweiten Mal. Wir stehen solidarisch an der Seite der Überlebenden und gedenken Jana L. und Kevin S..

– via RIAS Berlin – Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin