9. November 2021

Am hellichten Tag und unter aller Augen…
Am 9. November 1938 fanden die Novemberpogrome ihren Höhepunkt. Im deutschen Herrschaftsbereich wurden Jüdinnen_Juden vergewaltigt, inhaftiert, verschleppt und ermordet. Jüdische Geschäfte, Wohnungen, Gemeindehäuser und Synagogen wurden geplündert, zerstört und in Brand gesetzt. Auf den Straßen entfesselte sich der deutsche antisemitische Terror, der in der Nacht staatlich angestoßen und orchestriert wurde. SA und SS führten unterstützt durch Polizei und Feuerwehr die Morde, Brandstiftungen und Verwüstungen an. Die nicht-jüdische Bevölkerung beteiligte sich an dem Pogrom oder stimmte mit ihrem Schweigen zu. Insgesamt wurden in den Tagen um den 9. November 1.300 Jüdinnen_Juden ermordet, über die Hälfte der Gebetshäuser und Synagogen in Deutschland, Österreich und dem annektierten Sudetenland wurden zerstört. Ab dem 10. November erfolgte die Deportation von 30.000 Jüdinnen_Juden in Konzentrationslager. Die Pogrome waren Wegbereiter für die Shoah.

Wir gedenken auch dieses Jahr der Opfer der Novemberpogrome 1938:
9. November 2021 | 18.00 Uhr | Antifaschistische Gedenkkundgebung an die Novemberpogrome 1938 | Mahnmal Levetzowstraße (Berlin Moabit)

„Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen.“
Diese Mahnung des Auschwitzüberlebenden Primo Levi bleibt uns auch weiterhin präsent.
Dem Gedenken an die deutschen NS-Verbrechen Gehör zu verschaffen, Konsequenzen daraus einzufordern und die Verhältnisse, die die nationalsozialistischen Verbrechen ermöglicht haben und weiterhin fortbestehen, anzuklagen, bleibt die wichtigste Aufgabe für alle Antifaschist_innen. In diesem Sinne laden wir Euch auch dieses Jahr am 9. November zu den Gedenkveranstaltungen in Moabit ein.
Gemeinsam mit dem Zeitzeugen Horst Selbiger, Vertreter_innen von verschiedensten Initiativen wie Hashomer Hatzair und mit musikalischer Unterstützung wollen wir in unserem antifaschistischen Gedenken, Handeln und Eingreifen nicht müde werden und auch dieses Jahr auf die Straße gehen.

Im Jahr 1990 organisierte das Antifaschistische Aktionsbündnis Moabit im Stadtteil die erste antifaschistische Gedenkkundgebung bzw. Demonstration. Die Feierlichkeiten zum Mauerfall überschatteten schon damals das Gedenken an die nationalsozialistischen Pogrome. Das antifaschistische Gedenken in Moabit richtete sich daher von Anfang an explizit gegen den erinnerungspolitischen Konsens der BRD. Es war noch nicht lang her, dass sich in den 1980er Jahren immer mehr Initiativen gegründet hatten, die sich vier Jahrzehnte später einem Gedenken an NS-Opfer widmeten. Heute sind aus den Initiativen zum Teil relevante Institutionen geworden, die die erinnerungskulturelle Landschaft Deutschlands bilden: Einst als Bewegung von unten gegen den Konsens in der BRD gestartet, wird das Gedenken heute zunehmend für das offizielle moralisches Gewissen Deutschlands vereinnahmt.
Unser heutiges Ziel ist es, den Opfern zu gedenken, Kontinuitätslinien aufzuzeigen und ein stetiges antifaschistisches Engagement zu fordern. Ein Gedenken, das nicht vergisst, wie mörderisch Antisemitismus und Rassismus auch noch heutzutage sind. Ein Gedenken, das nicht den Zweck erfüllt, sich international damit zu rühmen, den einzigartigen Zivilisationsbruch aufgearbeitet zu haben und als Nation geheilt zu sein. Die deutsche Politik konnte sich die zahlreichen Initiativen zum Gedenken an die Opfer des NS zu Eigen machen, die einst gegen den Konsens der BRD gegründet wurden. Das wiedervereinigte Deutschland konnte daraus Kapital im Sinne der Standortlogik schlagen. Es geht der deutschen Politik nicht um die Opfer – dann müssten etwa Debatten um Reparations- und Entschädigungszahlung nicht geführt werden, dann wäre der Nationalsozialismus juristisch aufgearbeitet sowie personelle Kontinuitäten nicht möglich gewesen. Deutschland geht es nur darum, wieder und weiterhin ein Big Player zu sein.

Kein Vergessen heißt: Gegen jeden Antisemitismus
Alltäglich zeigt sich in Deutschland, dass Antisemitismus auch im Jahr 2021 virulent ist und dass die Erinnerung an die Verbrechen des Faschismus weiterhin verteidigt werden muss. Antisemitismus findet sich in allen Bevölkerungsgruppen und entsprechend laut müssen die Bündnisse sein, um diesen effektiv bekämpfen zu können. Unsere antifaschistische Praxis erschöpft sich nicht im Gedenken, sondern ist immer auch auf heute gerichtet. Das Gedenken an die Novemberpogrome ist somit immer auch ein Protest – gegen Antisemitismus in all seinen Formen, gegen die Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus und für eine Solidarität mit allen Jüdinnen_Juden.
Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und Nationalismus gehören in Deutschland keineswegs der Vergangenheit an. Ihnen gilt unsere Gegenwehr.

Unser Gedenken heißt:
– Solidarität mit allen von Antisemitismus Betroffenen
– Solidarität mit Israel
– Keine Versöhnung mit Deutschland
– Gegen jeden Antisemitismus

Foto: Deportationsmahnmal Putlitzbrücke (Berlin-Moabit)

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