REDEBEITRAG zum 9. November 2017

Redebeitrag zum Antisemitismus des „Nationalsozialistischen Untergrund (NSU)“, gehalten auf der antifaschistischen Kundgebung am 9. November 2017 in Berlin-Moabit in Gedenken an die Novemberpogrome von 1938.

Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten, liebe Genossinnen und Genossen.
Vor wenigen Tagen, am 4. November, jährte sich die Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zum sechsten Mal. Das NSU-Netzwerk ermordete mindestens 10 Menschen und verletzte zahlreiche weitere bei Sprengstoffanschlägen und Raubüberfällen. Während sich in München der NSU-Prozess nach fünf Jahren dem Ende neigt, bleibt eine tatsächliche Aufarbeitung offener Fragen weiterhin aus. Zum Beispiel die Verstrickungen von Verfassungsschutz und Polizei in den NSU-Komplex. Unsere Kritik an dem fehlenden Willen zur Aufklärung trifft dabei auch die Berliner Behörden, Gerichte und die Politik. Bisher gibt es in Berlin keinen eigenen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, obwohl Spuren des Trios und ihres Unterstützungsumfeldes eindeutig auch in die Berliner Neonazi-Szene führen.

Dabei verweist insbesondere der Blick nach Berlin auf eine Leerstelle, die im Bezug auf den NSUKomplex häufig unbeachtet bleibt. In dem nationalsozialistischen Weltbild des NSU spielte, zusammen mit dem offensichtlichen, mörderischen Rassismus, auch antisemitische Ideologie eine fundamentale Rolle. Sie ist der sinngebende Kitt jedes neonazistischen Weltbildes. Die rassistische Fantasie der Bedrohung des „deutschen Volkes“ durch Zuwanderung, wird so vermeintlich plausibel gemacht.

Schon in ihrer frühen politischen Betätigung zeigte sich der Antisemitismus des NSU-Kerntrios. Im Jahr 1996 hängten sie eine Puppe mit der Aufschrift “Jude” und eine Bombenattrappe an einer Autobahnbrücke, um damit gegen den Besuch des damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden Ignatz Bubis, zu protestieren. Wenige Monate später beteiligte sich Beate Zschäpe an der Verschickung einer Morddrohung an Bubis. In dem von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos entworfene Spiel “Pogromly” wird unverhohlen die nationalsozialistische Gewalt gegen Jüdinnen und Juden verherrlicht Und auch die in der Zwickauer Frühlingsstraße aufgefundene nationalsozialistische Propaganda zeugt von den antisemitischen Vernichtungsfantasien.

Im Jahr 1998 verübten bisher Unbekannte zwei Sprengstoffanschläge mit Rohrbomben am Grab von Heinz Galinski. Der frühere Präsidenten des Zentralrats der Juden liegt auf dem Jüdischen Friedhof Heerstraße in Charlottenburg begraben. Zwei Jahre später wurde ein Sprengsatz in den Eingangsbereich dieses Friedhofs geworfen. Alle diesbezüglichen Ermittlungen blieben bis heute ohne jeden Erfolg. In der Zwickauer Wohnung des NSU fand sich schließlich eine Adressliste mit 233 jüdischen Einrichtungen, auf der neben vielen Orten in Berlin auch der Jüdische Friedhof Heerstraße als potentielles Anschlagsziel verzeichnet war.

In dieses Muster passt auch die vermutliche Ausspähung der Synagoge in der Berliner Rykestraße durch Zschäpe, Mundlos und den sächsichen „Blood & Honour“-Kader Jan Werner im Mai 2000.
Den zeitnahen Hinweisen eines Zeugen vor Ort, der Zschäpe und Mundlos aufgrund von Bildern einer Fernsehsendung erkannte, wurde von Seiten der Berliner Behörden kaum nachgegangen. Erst durch einen Antrag der Nebenklage erhielt der Vorfall Beachtung im Münchener Prozess.

Die ausgespähte Synagoge in der Rykestraße in Prenzlauer Berg gilt als eine der größten Synagogen Europas. Dass sie während des Novemberpogroms 1938 nicht komplett durch die Brandstiftungen zerstört wurde, verdankt sie nur dem Eingreifen der Feuerwehr, die ein übergreifen der Flammen auf die Wohnhäuser der nicht-jüdischen Nachbarschaft verhindern sollte. Der deutsche Mob wurde jedoch nicht daran gehindert, das Innere des Gebäudes zu schänden und unter anderem die Thora- Rollen zu beschädigen. Der Rabbiner und Mitglieder der Gemeinde wurden in den darauf folgenden Tagen in das KZ Sachsenhausen verschleppt.

Heute erinnern wir an die Pogrome des Novembers 1938 und mahnen gleichzeitig den unmittelbar alltäglichen deutschen Rassismus und Antisemitismus an. Egal, ob sich diese in den Taten einer rechten Terrorgruppe und ihres Unterstützungsnetzwerkes zeigen, oder bei den vermeintlich besorgten Bürger_innen dieses Landes.

Beteiligt euch, wenn zum Prozessende von den Hinterbliebenen der Opfer des NSU und vielen weiteren Initiativen nach München und zu dezentralen, bundesweiten Aktionen aufgerufen wird. Unterstützt die Petition des VVN-BdA zur Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Berlin.

Gemeinsam fordern wir:
Kein Schlussstrich unter die Aufklärung des NSU-Komplex!
Kein Friede den antisemitischen und rassistischen Zuständen!
Deutschland? Nie wieder!