REDEBEITRAG auf der Demo „Jetzt erst recht!“ in Rudow 2017

Redebeitrag zu der Geschichte der Neuköllner Neonazistrukturen, gehalten auf der antifaschistischen Demonstration „Jetzt erst recht!
Offensiv gegen Nazigewalt und Rassismus – Solidarität mit den Angegriffenen“
am 25.03.2017 in Berlin-Rudow.

Liebe Antifaschist_innen,
Neukölln und seine Nazis sind zurzeit von Süddeutscher Zeitung über Spiegel Online bis arte in aller Munde. Die Serie von Bedrohungen und Angriffen gegen Privatwohnungen, Cafes und Buchläden seit letztem Mai bekommen zu Recht viel Aufmerksamkeit. Antifaschist_innen beschäftigen sich allerdings bereits seit mehr als dreißig Jahren mit dem Thema. Selbst in linken Kreisen gerät häufig in Vergessenheit, dass der Bezirk schon lange vor 1989 als eine der Neonazi-Hochburg im Westen Berlins galt. Hetzjagden von rechten Skinheads und Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte waren Anfang der 1990er Jahre keine Seltenheit. Rechte Parteien bekommen insbesondere im Süden des Bezirks traditionell mehr Stimmen als anderswo.

Während Nordneukölln heute den Ruf hat ein beliebtes Wohn-und Ausgehviertel zu sein, verfestigte sich die Neonazistrukturen in Südneukölln zu einer Szene, die bis vor wenigen Jahren zu den Aktivsten in der ganzen Stadt gehörte. In den Jahren nach 2000 gründeten sich Kameradschaften mit wechselnden Bezeichnungen, wenig später kam ein eigener NPD Kreisverband dazu.
Gemeinsam mit Neonazis aus dem Nachbarbezirk Treptow-Köpenick wurden Aufmärsche für ein „Nationales Jugendzentrum“ organisiert. Im Berliner Südosten sollte ein Ort exklusiv für diejenigen geschaffen werden, die in ihrem Weltbild „deutsch“ genug sind. Menschen mit Migrationsgeschichte und politisch Andersdenke sollten sich in dem besonders von den Neonazis beanspruchten Ortsteil Rudow nicht mehr ohne Angst bewegen können. Gewalt war das Mittel der Wahl. Rudow müsse mit seinem dörflichen Charakter deutsch bleiben, war noch 2012 der Slogan unter dem die seit ihrer Gründung mit den militanten Gruppen eng verflochtene Neuköllner NPD gegen Geflüchtete auf die Straße ging.

Gleichzeitig betätigten sich Neonazis aus Rudow und Südneukölln in dem stadtweit agierenden Netzwerk „Nationaler Widerstand Berlin (NW-Berlin), das vor allem dadurch bekannt wurde, öffentlich Steckbriefe von politischen Gegner_innen und ihren Treffpunkten zu verbreiten. Nicht wenige der dort aufgeführten Personen und Einrichtungen wurden anschließend Ziele von gezielten Angriffen. Weil sich Süden Neuköllns Widerstand formierte, verlegten sich die Überbleibsel der Rudower Naziszene zunehmend auf nächtliche Anti-Antifa Aktionen gegen ihre Gegner_innen im Norden. Unbehelligt von der Polizei und so genannten Sicherheitsbehörden konnten sie ihr klandestines Vorgehen über Jahre perfektionieren. Der überschaubare Personenkreis knüpfte unter dem Label „Freie Kräfte Berlin Neukölln“ an die Aktivitäten des ehemaligen NW-Berlin an und veröffentlichte im vergangenen Sommer eine Liste mit linken Lokalitäten, samt kaum verhohlenen Aufruf gegen diese vorzugehen.

Einer ihrer führender Kader, der langjährige NPD-Kreisvorsitzende Sebastian Thom, wurde nach einer Gefängnisstrafe erst unmittelbar vor Beginn der jüngsten Anschläge wieder auf freien Fuß gesetzt.
Die Neuköllner Naziszene ist geschwächt und auf der Straße kaum greifbar, aber buchstäblich brandgefährlich. Lasst sie nicht aus den Augen, organisiert euch und unterstützt vorhandene Strukturen.

Recherche, Analyse, Aktion – Antifa bleibt Handarbeit!