REDEBEITRAG auf der Demo gegen den Al Quds-Tag 2015

Redebeitrag zur Kritik an den Konzepten „Homonationalismus“ und „Pink Washing“, gehalten auf der antifaschistischen Demonstration am 11. Juli 2015 in Berlin-Charlottenburg gegen den Al Quds-Tag.

Auch in diesem Jahr findet sich im Aufruf des antifaschistischen Bündnis gegen den Al Quds-Tag die Forderung zur Solidarisierung mit allen von LGBTIQ-Feindlichkeit Betroffenen. LGBTIQ meint „lesbian, gay, bisexual, transgender, intersex and queer“ und bezieht sich dabei insbesondere auf diejenigen, die im islamistischen Regime des Irans, aber auch weltweit aufgrund von Homofeindlichkeit und Trans*feindlichkeit von Todesstrafen, Repression, Stigmatisierung und Diskriminierung betroffen sind.
Wann immer aber eine solche Solidarität im Bezug auf die Region des sogenannten „Nahen Ostens“ thematisiert wird, wird der Vorwurf des „Pinkwashings“ und „Homonationalismus“ gegenüber dem Staat Israel von Seiten eines Teils der queeren Szene laut.

Es ist zu beobachten, dass es in vielen Gesellschaften einen Wandel in Bezug auf die Wahrnehmung und Bewertung von Homosexualität gegeben hat. Während bis vor nicht allzu langer Zeit alle Formen von LGBTIQ* per se als pervers und abnormal verurteilt wurden, werden heute in vielen Ländern bestimmte homosexuelle Personen und Lebensweisen vom Mainstream als akzeptabel angesehen. Es gelten aber gemeinhin vor allem diejenigen Menschen und Lebensweisen als akzeptabel, die möglichst nah dran sind an den Idealen der Mehrheitsgesellschaft. Das heißt, vor allem weiße, zur Mittelklasse gehörende Homosexuelle, insbesondere schwule Männer, die Ideale wie Monogamie, Kleinfamilie, konservative Werte etc. vertreten. Heteronormativität wird also ausgeweitet auf Homonormativität, aber auch nur so weit wie es der Nation zuträglich ist. Diese schrittweise Anerkennung von homosexuellen Menschen und Lebensweisen als Bestandteil der kapitalistischen Mehrheitsgesellschaft durch Nationalstaaten wird u.a. von der Professorin Jasbir Puar als Homonationalismus bezeichnet.

Die vergeschlechtlichten Komponenten von Nationalismus zu beleuchten, ist plausibel und wichtig, da bestimmte Körperlichkeiten und Sexualitäten gesellschaftlich akzeptiert und der Nation dienlich gemacht werden, andere wiederum als gefährlich konstruiert werden. Als bestes Beispiel dafür können die sog. Märsche für das Leben, also Demonstrationen von Abtreibungsgegner_innen, dienen, bei denen reproduktive Gerechtigkeit und Selbstbestimmung von Frauen* letztlich als schädlich für Volk und Nation attestiert werden.

Weiterhin von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen und von Diskriminierung betroffen, sind jedoch all die LGBTIQ Personen, die nicht in das Idealbild passen, also beispielsweise alle Menschen die sich jenseits der normativen Binärkategorien Mann-Frau definieren und fast alle nicht-weißen Menschen. Übermäßig von dieser Exklusion betroffen sind folglich beispielsweise Queers of Color.

In einigen Ländern, in denen Homofeindlichkeit bis vor kurzem noch gesellschaftlicher Standard war, gilt heute Homofeindlichkeit oftmals als verpönt und rückständig. Dies kann soweit gehen, dass die eigene vermeintliche Toleranz und Offenheit bezüglich sexueller Vielfalt positiv hervorgehoben wird und im Sinne einer Abgrenzung Menschen mit einem anderen kulturellen Background, beispielsweise Muslimen, pauschal Homofeindlichkeit unterstellt wird. Beispielsweise will die Berliner CDU bei homophoben Gewalttaten »Null Toleranz« üben und möchte hierbei ein besonderes »Augenmerk auf Herkunft und kulturellen Hintergrund der Täter« richten. Mitunter wird also die vermeintliche eigene tolerante Haltung in Bezug auf Homosexualität dazu verwendet, um ein rassistisch aufgeladenes Gegenbild eines rückschrittlichen Anderen zu konstruieren. Besonders häufig geschieht dies in Bezug auf muslimische Menschen und islamische Staaten.

Homonationalismus wird also mitunter instrumentalisiert, um rassistische und islamfeindliche Haltungen und Vorgehensweisen zu legitimieren und zu befördern. Diese Praxis zu benennen und zu kritisieren ist unbedingt notwendig. Jedoch wird andererseits die Befürchtung davor beziehungsweise die Kritik daran mitunter auch so weit getrieben, dass eine notwendige Kritik und Verurteilung von homofeindlichen Gesellschaften und Handlungen dadurch abgewehrt wird. So wird jegliche Kritik von Homofeindlichkeit und Transfeindlichkeit im Islam oder islamischen Ländern als verallgemeinert dargestellt und als rassistisch gebrandmarkt.

Das geht so weit, dass die Theoretikerin Jasbir Puar sogar internationale Proteste nach Hinrichtungen von schwulen Männern in der Islamischen Republik Iran als internationale Strategie der USA kritisierte, um letztlich den Iran abzuwerten. Wurden LGBTIQs vor 9/11 als gefährlich, pervers, lebensfeindlich und todbringend konstruiert, wurden im Zuge von Homonormativierung und im Laufe des Krieges gegen Terrorismus diese Ängste in Verbindung mit rassistischen Ressentiments nun auf Queers of Color, auf Muslime und auf Suicid Bombers projiziert. Damit spricht sie den letztgenannten sogar eine legitime Formen des Widerstands zu und zeigt Verständnis für die Massenmörder_innen. So tabuisiert sie aber das Reden über diejenigen, die tatsächlich lebensfeindlich und todbringend handeln. Statt hier dialektische Verhältnisse zwischen widerständiger Praxis (in dem Fall der Schwulenbewegung) und unüberwindbarer Totalität gesellschaftlicher Realität aufzudecken und zu analysieren, bleibt das Konzept Homonationalismus bei der Proklamation der schwulen Kompliz_innenschaft mit staatlicher Macht und dem gesellschaftlichen Mainstream stehen.

Ist der Grundstein der Theorie des Homonationalismus durchaus verständlich, um sich verändernde gesellschaftliche Realitäten zu vergegenwärtigen, wird der ideologische Charakter dieser Theorie allerdings deutlich, wenn man betrachtet auf welche Weise die Theorie zur Anwendung gebracht wird. Denn angewendet wird das Konzept in der Regel auf die zwei immer gleichen Staaten: Israel und die USA, welche dabei gemeinhin als unheilvoller Zusammenhang produziert werden und als Inbegriff rassistischer und islamfeindlicher Gesellschaften dargestellt werden. Die in Israel angeblich besonders schlimme Weise der Instrumentalisierung von Homonationalismus bekommt sogar ein ganz eigenes Konzept: Pink Washing.

Vorgeworfen wird hier, dass Israel versuche mit schwulenfreundlichen Werbekampagnen und anderem homofreundlichen Gebahren die eigentlichen imperialistischen Macht– und Besatzungsinteressen als auch Menschenrechtsverletzungen gegenüber Palästinenser_innen mit einer \’gay bubble\‘ zu vertuschen und quasi Pink zu waschen. Israel gebe sich damit das Antlitz einer liberalen Demokratie und verschärfe die Wahrnehmung von Palästinenser_innen als barbarische, homofeindliche, unzivilisierte Selbstmordattentäter_innen. Israel würde also mit Hilfe von pink washing versuchen sich selbst aufzuwerten und im Zuge dessen das weltweite Bild von Palästinenser_innen mit rassistischen und orientalistischen Ressentiments zu manipulieren, um sich die Diskurshoheit im Nahen Osten zu sichern und schließlich einen palästinensischen Staat zu verhindern.

Tatsache ist jedoch, dass Israel der einzige Staat im Nahen Osten ist, in dem LGBTIQs relativ sicher leben können und sich schwul-lesbische Kultur und Subkultur etablieren konnte. Nicht zuletzt deshalb bietet es auch einen Schutzraum in der Region für alle verfolgten LGBTIQs, aber auch für arabische Christ_innen aus Staaten des Nahen Ostens, auch wenn in Israel trotz der relativ solidarischen und offenen Gesellschaft des Mainstreams, LGBTIQs auch von Diskriminierung und Gewalt im Alltag betroffen sind. Dass nicht islamistische Gruppierungen abgelehnt werden, sondern ausgerechnet das Land der Region, in der es die bislang fortschrittlichste Gesetzgebung für LGBTIQ\’s gibt, dafür kritisiert wird homofreundlich zu sein, lässt mehr als vermuten, dass antizionistische, also antisemitische, Ressentiment ihren Weg in das Konzept gefunden haben. Doppelstandards gegenüber Israel zu verwenden und Israel egal für was zu kritisieren, Israel immer hervorzuheben und letztlich als besonders bedrohend, gefährlich usw. zu kategorisieren, lässt eine antisemitische Grundhaltung vermuten.

Der Vorwurf des Pink Washing ist mehr als ein untauglicher Versuch die komplexe Verwobenheit von Patriarchat, Klassenverhältnis und Rassismus analytisch zu fassen. Indem Interventionen westlicher Gesellschaften zu menschenfeindlichen Zuständen, insbesondere im Nahen Osten und anderen muslimisch geprägten Staaten, pauschal als rassistisch abgewertet werden, werden diese Staaten gegen Kritik von außen praktisch immunisiert. Diese Immunisierung behindert den gesellschaftlichen Wandel und – umso schlimmer – macht die Hoffnungen derjenigen auf die Verbesserung ihrer Situation zunichte, deren Interesse zu vertreten die Verfechter_innen von Homonationalismus und Pink Washing als Anspruch vor sich hertragen. Ihr Fehler ist dabei ein grundsätzlicher. Sie zielen in ihrem Denken und Handeln nicht auf die universelle gesellschaftliche Emanzipation. Ausgangspunkt ihres theoretisch Zugangs ist allzuhäufig schlicht antiwestliches Ressentiment. Die antiemanzipatorische Stoßrichtung der Theorie macht Homonationalismus und Pink Washing nicht nur strukturell anschlussfähig an antisemitische Ideologie, sondern gibt Israelhassern_innen mit antirassistischen Anstrich auch ganz praktisch ein weiteres willkommenes Werkzeug zur Dämonisierung Israels in die Hand.

Wir sagen: Schluss damit!

Solidarität mit allen verfolgten LGBTIQs im Nahen Osten heißt immer Solidarität mit Israel, dem einzigen Schutzraum für Queers im Nahen Osten und für Jüdinnen_Juden weltweit.

In diesem Sinne:
Gegen Antisemitismus, Islamismus und falsch verstandenden Antirassismus!
Solidarität mit allen LGBTIQ* weltweit!
Solidarität mit Israel!