Jahresrückblick und „Kaltort Ranking 2017“

Wir verweisen als Jahresrückblick einfach mal auf den Text über Berlin aus dem Kaltort Ranking 2017 der Kampagne Irgendwo in Deutschland, der einige Schlaglichter auf die rassistischen und antisemitischen Berliner Zustände des Jahres 2017 wirft.
Gleichzeitig wollen wir uns aber auch bei allen Genoss_innen, Freund_innen und Antifaschist_innen bedanken, die sich auch in diesem Jahr mit uns der Kritik dieser Zustände und dem Kampf wider den unerträglichen Verhältnissen angeschlossen haben. Die sich solidarisch – mal bürgerlich, mal militant – nicht von der rechten Angriffsserie in Neukölln haben einschüchtern lassen und selber Recherche betrieben haben, wo von den Repressionsbehörden wie immer nichts zu erwarten ist. Die auch in diesem Jahr wieder den christlichen Fundis, Antisemit_innen und Unterstützer_innen des gerade wieder blutig mordenden islamistischen Regime im Iran und weiteren Faschist_innen entgegengetreten sind – sowohl auf den Straßen Berlins, als auch im ganz normalen deutschen Alltag. Die sich für ein würdiges Gedenken der Opfer und Verfolgten der deutschen Vernichtungspolitik, abseits staatlicher Erinnerungspolitiken einsetzen, während in Südneukölln Stolpersteine gestohlen werden und die AfD und andere immer weiter reaktionären Einfluss auf Gedenkdiskurse nehmen können. Die mit denen wir zusammen Vorträge, Workshops, Aktionen, Partys und weitere politische Orte besucht und veranstaltet haben, die uns in vielfältigsten Formen unterstützen und auch im kommenden Jahr mit uns für eine befreite Gesellschaft einstehen.
Weiterhin kein Friede diesen Zuständen – Für den Kommunismus!

Fotocredit: PM Cheung – Photography

Die Nominierung Berlins zum #Kaltort2017:

Ort: Berlin
Bevölkerung: 3.520.000 Einwohner_innen
Kurzbeschreibung: Hauptstadt der Freiheit

Beim #Kaltort-Ranking darf natürlich auch die Schlandes-Hauptstadt nicht fehlen – und das weltoffene, hippe, tolerante Berlin tut einiges dafür, gute Chancen auf die Auszeichnung als #Kaltort 2017 zu haben!
be berlin – aber nicht für alle. Nicht erst seit der AFD und den Identitären ist es in Berlin en vouge, Kritik am Zuzug vermeintlicher Nicht-Herkunftsdeutscher zu äußern. Wer erinnert sich noch an Heinz Buschkowsky? Ehemaliger Bezirksbürgermeister von Neukölln (SPD) und gerne zitierter Multikulti-Kritiker, der endlich sagt, was alle denken und sich aber ‚immer von rassistischen und völkischen Tendenzen distanziert hat‘ [2] bzw. der entsprechenden klaren Benennung. Inhaltlich ist da Konsens – was einmal mehr dadurch zum Ausrdruck kommt, dass die AFD kurzerhand Buschkowskys Namen für ihren Wahlkampf nutzte. Dagegen könnte der SPD-Politiker natürlich was machen, der ehemalige Bürgermeister sah allerdings von rechtlichen Schritten ab. In seine Fußstapfen tritt seine Nachfolgerin Franziska Giffey (ebenfalls SPD). Sie möchte, dass die Neuköllner Parks für die Allgemeinheit nutzbar sind und versteht unter Allgemeinheit wohl Hipster, Jogger*innen und alle mit Hunden – definitv aber keine Menschen, die die Parks nutzen (müssen), um dort zu übernachten. Deshalb organisiert sie ‚freiwillige Rückreisen‘ für wohnungslose Menschen aus den Ost-EU-Staaten auf Bezirkskosten. [3] Diesen ‚freiwilligen Rückreisen‘ geht neben s.g. Beratungsgesprächen freilich auch eine entsprechende repressive Vertreibungspolitik durch das Ordungsamt und die Polizei voraus. Ihr Kollege Stephan von Dassel (die Grünen) fordert sogar öffentlich die Abschiebung (sic!) von wohnungslosen Ost-EU-Bürger*innen. [4]

Aber zurück zu Neukölln. Hier griffen seit Winter 2016 immer wieder Nazis gezielt linke Projekte und Personen an. Begonnen hat es mit Brandanschlägen auf ein linkes Café und Buchläden, die sich auch im Neuköllner Süden trauen, sich offen gegen Rechts zu positionieren. Es folgten Outings von vermeintlichen linken Aktivist*innen, bei denen ihre Namen an ihre Wohnhäuser geschmiert wurden und weitere Brandanschläge auf Autos von linken Politiker*innen. Zwar ermittelt der Staatsschutz, aber trotz einer gut bekannten und relativ offen agierenden Neuköllner Nazi-Szene gibt es -Überraschung!- noch keine Ergebnisse. Gegen Jahresende, rund um den 9. November, wurden im Neuköllner Süden dann „Stolpersteine“ aus den Gehwegen ausgegraben. Hier vermuten dann sogar die Cops eine politisch motivierte, nämlich antisemitische, Tat.

Das ist hierzulande und hierzuorte schon was besonderes. Antisemitismus zu erkennen, zu benennen und zu unterbinden – damit tat sich beispielsweise auch eine Schule in Friedenau schwer. Während ein Schüler über längere Zeit massiv angegriffen wurde, erhielten er und seine Eltern keine Unterstützung durch die Schulleitung – vielmehr wurden die antisemitischen Taten relativiert. Kritik an Antisemitismus folgt nur, wenn er außerhalb der als weiß imaginierten deutschen Gemeinschaft auftritt. So schafften es brennende Israel-Flaggen auf Demos anlässlich der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels im Dezember dann auch direkt in die Tagesschau. Die Deutung erschien so einfach – Jens Spahn (CDU) beispielsweise twitterte sehr schnell, dass er sehr besorgt über die Stimmung im Land durch den sogenannten ‚importierten Antisemitismus‘ sei. Hier zeigen sich klare Schnittmengen zu den bekannten rassistischen Diskursen um und über Geflüchtete. Dass Antisemitismus alles andere als ein importiertes Problem, sondern ein zutiefst deutsches ist, beweist das unerträgliche Video (natürlich ebenfalls aus Berlin), dass vor einigen Tagen viral ging: ein scheinbar gut situierter Herkunftsdeutscher beleidigt und bedroht den Besitzer eines israelischen Restaurants antisemitisch und ergeht sich sogar noch nach Eintreffen der Polizei in widerlichen Gewalt- und Mordphantasien.

Berlin kann in der Bewerbung um den #Kaltort2017 traurigerweise sogar auf mindestens ein Mordopfer rassistischer Gewalttaten verweisen. Ein vermeintlicher Ladendieb wurde durch einen Supermarktbesitzer in Lichtenberg tot geprügelt. Im Prozess stellte sich heraus, dass dieser seit geraumer Zeit in zwei Berliner Filialen die Praxis etablierte, im Falle von Ladendieben die ‚ausländisch oder verwahrlost‘ aussähen nicht die Polizei zu rufen, sondern Quarzhandschuhe anzuziehen und die Personen gemeinsam mit seinen Mitarbeiter*innen brutal zu verprügeln. So wurde der ermordete Eugeniu B. aus Moldawien innerhalb einer Woche in beiden Filialen verprügelt und starb an seinen Verletzungen. Die Taten sind auf den Überwachungskameras des Supermarktes dokumentiert. Zudem sandte der Täter eines dieser Videos mit dem verächtlich zynischen Kommentar ‚Moldawien zu Gast bei Freunden‘ an weitere Personen. Darin erkennt das Berliner Gericht dann zwar tatsächlich Fremdenfeindlichkeit, die wirkt sich aber nicht unbedingt auf die Schwere des Urteils aus – vielmehr bereitet dem Gericht Sorge, dass der Täter hier Selbstjustiz übt… [5]

Dies war eine kleines und unvollständiges Potpourrie der ‚Berliner Zustände‘. Die Ereignisse bestätigen den Slogan des Stadtmarketings: In der deutschen Hauptstadt ist immer etwas los, zu jeder Tageszeit, an jedem Tag im Jahr – bedauerlicherweise.

[2] https://www.morgenpost.de/…/AfD-wirbt-mit-Neukoellns-Ex-Bue…
[3] https://www.berliner-zeitung.de/…/illegale-park-lager-neuko…
[4] https://www.rbb24.de/…/obdachlose-berlin-tiergarten-abschie…
[5] http://www.spiegel.de/…/selbstjustiz-in-berliner-supermarkt…

Antisemitische Versammlungen in Mitte und Neukölln

Nach der Entscheidung des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump, die Botschaft der USA von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, sowie dem Aufruf der islamistischen Hamas zu einem „Tag des Zorns“ am Freitag, versammelten sich auch in Berlin ca. 1500 Teilnehmer_innen zu einer Kundgebung vor der US-Botschaft auf dem Pariser Platz. Während der ebenfalls von linken Antisemit_innen besuchten Kundgebung wurde eine selbstgemalte Fahne mit einem Davidstern verbrannt. Teilnehmer_innen zeigten u. a. Fahnen der Fatah und der islamistischen Hamas. Neben antiamerikanischen und klerikalen Rufen wurden laut dem beobachtenden JFDA – Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus und weiteren Beobachter_innen, antizionistische und antisemitische Parolen wie “Tod Israel”, “Kindermörder Israel” und „Khaybar Khaybar ya yahud, jaish Mohammed sa yaoud“ („Chaibar, Chaibar, oh ihr Juden! Mohammeds Heer kommt bald wieder“) skandiert.

Die Berliner Polizei sprach im Anschluss dennoch von einem Störungsfreien Ablauf der Versammlung. Erst als es später in Neukölln zu einer weiteren spontanen Demonstration mit etwa 70 Teilnehmenden kam und der Straßenverkehr gefährdet schien, sah sich die Polizei genötigt einzugreifen und die Versammlung zu stoppen.

Vollkommen abseits dieser antisemitischen Vorfälle, nutzt der rassistische, deutsche Mob innerhalb der sozialen Netzwerke den Anlass und die Berichterstattung dazu, weiterhin Hetze gegen alles als „nicht-deutsch“ wahrgenommene zu betreiben. Der eigene völkische Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus werden hinter einer vermeintlichen Israelsolidarität versteckt (vgl. etwa http://noalquds.blogsport.de/…/zum-antisemitismus-der-alte…/), die gerade soweit reicht, bis das nächste Video über eine angeblich jüdische Weltverschwörung des Mossad, Bilderberger und Rothschilds geteilt wird.
Ihnen wie auch den islamistischen und linken Antisemit_innen auf den Straßen Berlins und anderswo gilt unsere Kritik.
Gegen jeden Antisemitismus!

Fotos/Quellen u.a.:
– JFDA – Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus

28.11.: Gegen die Normalisierung rechter Hetze – Kundgebung gegen den „Bürgerdialog“ der AfD

Dienstag 28. November | 18.00 Uhr | Rathaus Köpenick (Alt-Köpenick 21, 12555 Berlin)

„Der Bezirksverband der AfD Treptow-Köpenick möchte am Dienstag, den 28. November im Rathaus Köpenick einen zweiten sogenannten „Bürgerdialog“ abhalten. Thema soll die Verkehrsinfrastruktur sein, als Redner ist der verkehrspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus und ausgesprochene Fahrrad-Hasser Frank Scholtysek angekündigt. Mit den „Bürgerdialogen“ versucht die sonst wenig in der Öffentlichkeit sichtbare Fraktion Bürger*innennähe zu beweisen und über ihren sachpolitischen Wissensmangel hinwegzutäuschen.“

Schließt euch den antifaschistischen Gegenprotesten an! Kein Raum der AfD!

9. November 1938 – 9. November 2017 | 79 Jahre nach der Reichspogromnacht | Solidarität mit den Opfern des deutschen Antisemitismus und Rassismus

„Je weiter ich Richtung Ku’damm ging, desto mehr Menschen waren auf der Straße. Auf einmal knirschten Glasscherben unter meinen Schuhen. Als ich mich umsah, bemerkte ich, dass die Fenster aller jüdischen Geschäfte eingeschlagen waren. Vor einem Laden standen drei SA-Männer und schauten unbeteiligt ins Leere. Ich erinnere mich, dass sie in diesem Moment nichts Menschliches an sich hatten. Ich sah zu Boden und ging weiter. Ich wollte wissen, was geschehen war – obwohl ich das Gefühl hatte, dass mein Leben vorbei wäre, wenn unsere Blicke sich treffen würden.“

So beschrieb Margot Friedländer den 10. November 1938. Ihre Mutter und ihr Bruder wurden in Auschwitz ermordet; sie selbst überlebte die Shoah trotz Inhaftierung im Konzentrationslager Theresienstadt. Das Bild der Zerstörung, dass sie zeichnet lässt erahnen, von welcher Gewalt die Nacht davor geprägt war. Am 9. November 1938 fanden die Novemberpogrome ihren Höhepunkt. Im deutschen Herrschaftsbereich wurden jüdische Menschen ermordet, vergewaltigt, inhaftiert und verschleppt. Jüdische Geschäfte, Wohnungen, Gemeindehäuser und Synagogen wurden geplündert, zerstört und in Brand gesteckt. Auf den Straßen brach sich der gewalttätige deutsche Antisemitismus Bahn, der in der Nacht staatlich angestoßen und orchestriert wurde. SA und SS führten die Morde, Brandstiftungen und Verwüstungen an. Die nicht-jüdische Bevölkerung beteiligte sich an dem Pogrom oder stimmte mit ihrem Schweigen zu. Zum Anlass nahm die NSDAP-Führung die Tötung eines deutschen Botschaftsangehörigen in Paris. Herschel Grynszpan, der aufgrund des deutschen Antisemitismus nach Frankreich migriert war, gab mehrere Schüsse auf das Botschaftsmitglied ab, nachdem er von der Deportation seiner Familie nach Polen erfahren hatte.

Wenn wir heute an die Novemberpogrome von 1938 erinnern, heißt das, dass wir ihrer Opfer gedenken, ihnen Namen und Geschichte geben. Es heißt auch, dass wir antifaschistisch wachsam sind gegenüber einer Gesellschaft, deren autoritäre und ressentimentgeladende Tendenzen wieder offener zu Tage treten. Die Novemberpogrome stellten einen ersten Höhepunkt der antisemitischen Verfolgung dar, aber passierten nicht aus dem Nichts heraus. Die deutsche Gesellschaft stimmte in die Vernichtungspolitik ein. „Aus der Erfahrung unseres Lebens sagen wir: Nie mehr schweigen, wegsehen, wie und wo auch immer Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit hervortreten!“

Dies haben uns die überlebenden Opfer des Nationalsozialismus und lebenslange Kämpfer*innen immer wieder aufgetragen, sie haben uns begleitet, unterstützt und ermutigt. Sie haben uns erklärt, was es bedeutet, als Geflüchtete*r leben zu müssen, was es bedeutet, nicht mehr als Mensch betrachtet zu werden. Wir werden unsere Kämpfe bald ohne sie führen und eigene Worte und Wege finden müssen. Dem Gedenken an die deutschen NS-Verbrechen auch weiterhin Gehör zu verschaffen sowie Konsequenzen daraus einzufordern, bleibt einer der wichtigsten Aufgabe für alle Antifaschist*innen.

In diesem Sinne: Kommt am 9. November zur Gedenkkundgebung und antifaschistischen Demonstration nach Moabit!

Gedenken an die Reichspogromnacht am 09. Nov. 1938
09. November | 17.00 Uhr | Mahnmal Levetzowstrasse, Levetzowstraße 7-8 (Berlin-Moabit)

http://9november.blogsport.eu

Foto: Deportationsmahnmal Putlitzbrücke (Berlin-Moabit) by Thorsten Strasas, 2013.

BERLIN-BRITZ: SCHÄNDUNG VON STOLPERSTEINEN

Unmittelbar vor dem Gedenken an die Novemberpogrome von 1938 berichtet die Anwohner*innen Initiative Hufeisern gegen Recht davon, dass im Neuköllner Ortsteil Britz alle sieben Stolpersteine im Bereich der Hufeisensiedlung von unbekannten entfernt wurden.
Für den Abend des 9. Novembers plante die Initiative eine Gedenkveranstaltung vor der ehemaligen Albrecht-Dürer-Apotheke, die an die Ausschreitungen gegen das Geschäft des jüdischen Apothekers Adolf Mockrauer erinnern soll. Zeitgleich findet in Berlin-Moabit die Gedenkkundgebung und antifaschistische Demonstration im Gedenken an die Reichspogromnacht am 09. Nov. 1938 statt.

Wir verurteilen diesen Akt der Schändung auf schärfste, dessen organisierte Täter*innen sich mit großer Wahrscheinlichkeit in der Neuköllner Neonazi-Szene verorten lassen. Zeigt bei den Veranstaltungen am 9. November eure Solidarität mit den Opfern des deutschen Nationalsozialismus in einem würdigen Gedenken.

„Aus der Erfahrung unseres Lebens sagen wir: Nie mehr schweigen, wegsehen, wie und wo auch immer Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit hervortreten!“

Dies haben uns die überlebenden Opfer des Nationalsozialismus und lebenslange Kämpfer*innen immer wieder aufgetragen, sie haben uns begleitet, unterstützt und ermutigt. Sie haben uns erklärt, was es bedeutet, als Geflüchtete*r leben zu müssen, was es bedeutet, nicht mehr als Mensch betrachtet zu werden. Wir werden unsere Kämpfe bald ohne sie führen und eigene Worte und Wege finden müssen. Dem Gedenken an die deutschen NS-Verbrechen auch weiterhin Gehör zu verschaffen sowie Konsequenzen daraus einzufordern, bleibt einer der wichtigsten Aufgabe für alle Antifaschist*innen.

Mehr über die Veranstaltung der Initiative Hufeisern gegen Rechts findet ihr hier: http://www.hufeiserngegenrechts.de